Wo das Benzin billiger ist als Wasser oder ein Toilettenbesuch

Wir wissen nicht, was in Deutschland und Europa überhaupt ankommt von dem, was hier in Venezuela momentan passiert. Daher möchten wir uns gerade mal melden und mitteilen, dass es uns gut geht und wir gut aufgehoben sind bei Einheimischen, die genau wissen, was man machen und nicht machen kann! Die Lager der Regierungsbefürworter und -Gegner sind ziemlich gespalten und es gibt Aggression auf beiden Seiten. Soweit ich alles verstanden habe: Der Oppositionsfüher sitzt in Haft, da er zu Protesten aufgefordert hat. Leider sind die Proteste aber nicht immer friedlich verlaufen und es gibt Tote und Verletzte. Der internationalen Presse wird psychologischer Krieg vorgeworfen und gedroht, dass sie aus dem Land geworfen wird. Presseleute haben Angst, Ihren Ausweis zu zeigen oder sich öffentlich zu zeigen mit ihren Kameras.

Mancherorts wird noch ein toter Präsident und dessen Politik verherrlicht, der Freiheit und das Recht zu Demonstrationen für sein Volk versprochen und garantiert hat. Davon ist jetzt teilweise nicht mehr viel zu spüren. Friedliche und unfriedliche Demos werden aufgelöst. Versammlungsfreiheit wird (angeblich) eingeschränkt (kann ich alles nicht nachprüfen). In vielen Städten brennt die Straße, von den Demonstranten „friedlich“ angezündet??? Was soll man da denken, was ist richtig, was falsch? Gewalt ist keine Lösung. Das ist nicht der richtige Weg! Die Menschen wollen gehört werden und in den Straßen ist „SOS Venezuela“ zu lesen!

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Reste der Straßensperren und „friedlichen“ Demonstration

Sehr viele Läden in Maracaibo sind geschlossen und es funktioniert momentan fast nichts mehr! Schulen und Unis sind zu und die Schüler und Studenten protestieren. Sie organisieren sich über soziale Netzwerke, denn in den Medien wird wenig berichtet oder Musik als wäre hier ganz normaler Alltag. In den wenigen kritischen Medien, die es noch gibt wird immer nur zu friedlichen Protesten aufgefordert, nahe an der eigenen Wohnung. Ich habe in den kritischen Sendern, die man wirklich suchen muss, nie etwas von gewaltsamen Widerstand gehört. Wir halten uns natürlich von all dem so fern es nur irgendwie geht!

Tatsache ist, dass die Supermärkte nur ein sehr begrenztes Sortiment anbieten und die Menschen ewig anstehen müssen für Grundnahrungsmittel und in einem so reichen Land etwas schief läuft. Lange Schlangen sind an der Tagesordnung, wenn es überhaupt etwas gibt! Milch und Milchpulver bekommt man seit Monaten nicht mehr! Egal ob Frau mit Kind, Alt oder Jung, alle die sich es nicht anders organisieren können, müssen gleichermaßen anstehen. Wenn man dann etwas einkaufen kann, muss man seinen Pass zeigen, denn man kann auch nicht so viel kaufen wie man möchte. Angeblich bekommen mancherorts die Menschen sogar einen Stempel auf den Arm, damit sie nicht noch einmal kommen können, um mehr zu kaufen!!!! Also wenn das wahr ist, finde ich das unglaublich und es erinnert etwas traurig an unsere eigene Geschichte.

Es ist erstaunlich, dass es nicht schon viel früher Proteste gab, denn so eine Situation ist unerträglich in einem so reichen und tollen Land! Wir werden noch Bilder zeigen! In Venezuela gibt es alles, Rohstoffe, günstiges Klima und tolle Menschen. Doch leider funktioniert momentan so wenig, dass die Situation eskaliert. Wir leiden förmlich mit – auch wenn wir glücklicherweise nicht für’s Essen kaufen anstehen müssen. Aber die Menschen hier können oft nicht das Nötigste kaufen bei Bedarf und wenn es etwas gibt ist es überteuert, rationiert und sie müssen stundenlang dafür anstehen!

Die Regierung reagiert nervös und droht die internationale Presse aus dem Land zu verbannen (z.B. CNN International). Ich denke, wenn man nichts zu verstecken hat sollen doch erst recht möglichst viele Presseleute kommen, um zu beweisen, dass die friedlichen Demonstranten vielleicht doch nicht so friedlich sind und die Schuld an allem tragen. Bewaffnete Gruppen machen ihr eigenes Ding ob für oder gegen die Regierung, oft schwer zu sagen, wer dahinter steckt!

Einige weitere Beobachtungen:

  • Aktueller offizieller Wechselkurs 1 Euro = 8,6 Bolivar (offizieller Kurs 23.2.2014 yahoo finance), aktueller inoffizieller Wechselkurs liegt bei teilweise über 100 Bolivar! Wir dachten Argentinien war schon extrem mit den Finanzen, aber das war ja Kindergarten zu dem, was hier am Finanzmarkt los ist!
  • Ein Arzt hier verdient angeblich ca. 5000 Bolivar (umgerechnet offizieller Kurs 581€, umgerechnet inoffizieller Kurs 50€)
  • Eine halbe Tankfüllung Benzin kostet etwa 3 Bolivares (genau so viel, wie die „Putzkräfte“ in den Raststätten für einen Toilettenbesuch verlangen!),  das sind mit dem offiziellen Kurs noch nicht einmal 3 Euro, mit dem inoffiziellen Kurs kostet EINE HALBE TANKFÜLLUNG gerade 3 Cent!!! Hingegen eine Flasche Wasser kostet ca. 10-20 Bolivar und ein Essen (z.B. frittierter Fisch mit Salat und Fritten) kostet um die 160 Bolivar. Daher kommt auch die extreme Situation an der Grenze zu Kolumbien, wo das Benzin in organisierter Kriminalität geschmuggelt und für das zigfache in Kolumbien verkauft wird! Seit Jahren und keiner macht etwas dagegen.
    Das Verrückte kommt aber noch: Das Benzin ist (angeblich) teilweise importiert und subventioniert vom Staat! So billiges Benzin ist einfach nicht möglich, selbst wenn man alle Rohstoffe hat und alles weiterverarbeiten könnte! Die eigene Verarbeitung von Rohöhl im Land reicht nicht (mehr) aus, d.h. das Erdöl wird verkauft und das fertige Benzin wird eingekauft!

Der Bolivar ist so schwach wie nie und reicht nicht einmal für das tägliche überleben, trotz Arbeit. An Reise(-freiheit) ist so finanziell in keinster Weise zu denken, weil es fast unmöglich oder unerschwinglich ist. Viele ausländische Investoren haben das Land verlassen. Ersatzteile für Maschinen oder Autos gibt es nicht oder sind sündhaft teuer. Die Produktivität des Landes liegt am Boden. Daher auch die Lebensmittelknappheit, denn dass was es gibt an Lebensmitteln wird (oder wurde) nach Kolumbien geschmuggelt und teuer verkauft (ähnlich wie das Benzin)! Es gibt für die Ärmsten um Comedores (Essensausgabensstellen), von denen aber leider die allermeisten nicht funktionieren. Die Situation erinnert auch sehr an „Brot und Spiele“ aus der Antike!

Nun wo wir diesen Wahnsinn hier alles hautnah erleben, wissen wir erst so richtig, wie gut es uns überhaupt zu Hause geht! Aber auch in Deutschland und Europa muss darüber gesprochen und informiert werden, um die Situation nachhaltig zu verbessern und Venezuela zu helfen mit ausländischen Investoren und Unterstützung zu einem friedlichen und diplomatischen Dialog auf beiden Seiten.

Wir sind weder für noch gegen den Präsidenten! Wir haben nur ein paar wenige Informationen aufgesammelt, geben unsere Beobachtungen wieder und möchten diese teilen, bitte tut dies ebenso!

Wir möchten uns nicht einmischen, denn wir sind hier eigentlich nur, um der Kinderorganisation Benposta Venezuela zu helfen bei deren Zirkusschule. Das Finale der Show endet immer mit der Friedensbotschaft „Mensaje de Paz“ endet –  Aktueller denn je!
Apropos, hier fehlen nur noch 110€, damit die 1000 Euro, die ich bereits übergeben habe, komplett sind! Euer Geld ist hier 10x so viel Wert wie Ihr Euch vielleicht denken könnt, wenn ihr aufmerksam gelesen habt. Sprich ihr habt hier also quasi umgerechnet mehr als 10.000€ gespendet! Besten Dank für Eure großzügige Hilfe, auch jeder Euro der jetzt hoffentlich noch über die 110€ kommt, wird hier mehr als dankbar ankommen!

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